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… den Kindern das Christenthum praktisch „einlieben und einleben“

Johannes Daniel Falk zum 250. Geburtstag

Johan­nes Dani­el Falk, der vor 250 Jah­ren – am 28. Okto­ber 1768 – in Dan­zig gebo­ren wur­de und am 14. Febru­ar 1826 in Wei­mar starb, ist nicht nur als Dich­ter der ers­ten Stro­phe von „O du fröh­li­che“ bekannt geblie­ben, son­dern auch als Lai­en­theo­lo­ge und Vater einer dia­ko­ni­schen Bewe­gung, die 1813 mit der Grün­dung der (bis heu­te akti­ven)  „Gesell­schaft der Freun­de in der Not“ und einem Ret­tungs­haus für ver­wahr­los­te Jugend­li­che, dem „Luther­hof“, über die Gren­zen Wei­mars hin­aus Beach­tung und För­de­rung erhielt. Die­se Idee eines täti­gen Chris­ten­tums nahm Johann Hin­rich Wichern begeis­tert auf und ver­band sie ab 1848 fest mit dem Begriff der „Inne­ren Mission“.

Aus Anlass die­ses Jubi­lä­ums haben wir zum einen den Theo­lo­gen und Falk-Spezialisten Johan­nes Demandt gebe­ten, Johan­nes Dani­el Falk in sei­nem theo­lo­gi­schen Umfeld zu ver­or­ten und Falks fort­wir­ken­des Ver­mächt­nis zu cha­rak­te­ri­sie­ren. Ein­ge­bet­tet sind die­se Erläu­te­run­gen in eini­ge aus­ge­wähl­te Tex­te und Zeug­nis­se, die wenigs­tens schlag­licht­ar­tig den Lebens­weg von Falk erhel­len und unse­ren Lese­rin­nen und Lesern eine Mög­lich­keit eröff­nen sol­len, ihn – den „Johan­nes von der Ost­see“, wie er sich selbst zuwei­len nann­te – zugleich in einer per­sön­li­chen, gleich­sam unmit­tel­ba­ren Wei­se ken­nen­ler­nen zu können.

Dabei begeg­net er

  • als ein schon früh äußerst stil­si­che­rer und sprach­sen­si­bler Jugend­li­cher, der in sei­nen Brie­fen über die Beschwer­nis­se der fami­liä­ren Situa­ti­on und über sei­ne Lie­be zu sei­ner Hei­mat spricht,
  • als char­man­tes, belieb­tes und nicht zuletzt exzen­tri­sches Mit­glied des Wei­ma­rer Dichter- und Intellektuellen-Zirkels,
  • als Wohl­tä­ter, der sei­ne Beru­fung erkennt, sein Werk klug vor­an­bringt und mit Erfolg wach­sen sieht, sowie
  • als lie­be­vol­ler, um sei­ne Fami­lie besorg­ter Vater und Ehemann.
Brief an seinen Vetter, Danzig, „an der Lestadia“, den 3. März 1781

Ver­zei­hen mir mein Schrei­ben ;  dan­ke für güti­ge Erlaub­nis, und daß ortho­gra­fi­sche Schnit­zer dar­in, das kommt daher, weil mich mein Vater schon früh aus der Schul genom­men, näm­lich bei Herr Piler zu St. Petri und Pau­li, kaum zehn Jahr alt, und mich zu sich in die Werk­statt getan, Künf­ti­ges Jahr, auf Tag Simon Judä, geliebt’s Gott, bin ich nun drei­zehn Jahr und wachs alle Jahr ein Kopf höher, und wer mich sieht, freut sich dar­an, daß ich so groß bin – aber daß ich mich freu­te, wenn ich das sag­te, so müßt ich lügen – denn ich denk so, ist man­cher groß und ein Esel dazu, und was hilft mir, daß ich groß bin, da ich nicht stu­die­ren kann.

2. Brief an seinen Vetter, Danzig, den 10. August 1782

Abends um Zwie­licht und wenn die andern im Haus und in der Werk­statt Ves­per hal­ten, schleich ich mich fort und geh und hol mir irgend­ein Buch aus Herrn Brück­ners Lese­bi­blio­thek. Aber wo lesen ?  das ist die Kunst !  Da tre­te ich dann im Win­ter auf die hohen Bei­schlä­ge am Fischer­tor, wo die Later­nen bren­nen, und lese, bis mir das Gesicht braun­rot wird und mei­ne erfror­nen Hän­de die Blät­ter vor Käl­te nicht mehr umschla­gen kön­nen. Wenn ich dar­auf nach Hau­se kom­me, hab ich auch kei­nen gnä­di­gen Herr­gott ;  da zankt mein Vater und mei­ne Mut­ter auf mich ein, da setzt es saue­re Gesich­ter und oft wohl gar – nun was hilft’s ?  ein­mal ist man in der Welt und muß aushalten.

14. Brief an den Vetter, Halle, Steinstraße, den 1. Mai 1788

O Vet­ter, liebs­ter Vet­ter, wie oft habe ich gewünscht, noch ein Kind zu sein, wie damals, als die Hin­ter­tür in mei­ner Eltern Hau­se offen­stand und ich hin­aus­sprang in das Feld und auf die Schiffs­werf­te, die die Son­ne bestrahl­te, und mit andern Kin­dern Ball und Rei­fen spiel­te !  Glück­li­che Zei­ten, als rings die wei­ßen Segel der Ost­see, in alle Welt­ge­gen­den ein­la­dend, vor mir lagen und jede jugend­li­che Hoff­nung, mit einem flat­tern­den Lüft­chen, ein­nah­men !  Wie oft habe ich, über den blau­en Fluß gebo­gen, der in stol­zer Abend­ru­he dahin­zog, stun­den­lang zuge­horcht, wenn alles rings­um, bis auf das Echo in den Spei­chern, still war und nur hier und da eine pol­ni­sche Rohr­pfei­fe Töne von sich gab oder über die Gewäs­ser daher, die ihr mit sanf­tern Geplät­scher ant­wor­te­ten, eine litaui­sche Schal­mei rief !


Caroline an Johannes Falk, Weimar, den 23. November 1806

So eben kom­me ich von der Schop­pen­hau­ern, die dich recht freund­lich grü­ßen läßt. Ich fand daselbst wie­der eine recht arti­ge Gesell­schaft, unter andern den Gehei­me­rath v. Göthe, der sich ange­le­gent­lich nach dir erkun­digt hat, wir haben eine gan­ze wei­le zusam­men über dich, und dein jet­zi­ges Geschick gespro­chen :  er lob­te dich aus dem Grun­de her­aus, und erin­ner­te sich dabey mit vie­ler Hei­ter­keit der ange­neh­men Stun­den wel­che du ihm nach dei­ner Wie­ner Rei­se, durch Mit­tei­lung so man­cher Beob­ach­tun­gen gemacht hät­test. Er mein­te dir wür­de das Geschäft um so vie­les leich­ter wer­den, weil du die Gabe hät­test, die Din­ge alle hei­ter zu neh­men, und du zugleich immer für dich Beob­ach­tun­gen machtest.

Johanna Schopenhauer an Gerhard von Kügelgen, Weimar, den 4. Februar 1809

Mit einem Male öff­net sich die Tür, ein wohl­ge­klei­de­ter Incroya­ble mit hohem schwar­zen Backen­bart und Hah­nen­kamm, einen gewal­ti­gen Sturm­hut unterm Arm, übri­gens hüb­scher Figur, schlank und gewandt, aber durch eine sehr gut gemach­te Mas­ke, die hübsch, frech, ver­rucht und artig zugleich war, ganz unkennt­lich gemacht, trat her­ein. Es war Falk, hin­ter ihm wan­del­te ein recht hüb­sches Schreib­bü­ro, mit einer Büs­te oben dar­auf, die kläg­li­che Mie­ne mach­te, unten stand die Inschrift „Mel­po­me­ne“, auf der Rück­sei­te des Büros mit gol­de­nen gro­ßen Buch­sta­ben „Ele­gan­te Zei­tung“, ein blau atlas­ner Vor­hang bedeck­te die Füße des Büros und des Man­nes, der es trug und der oben den Kopf als Mel­po­me­ne her­aus­steck­te. Im Saal mach­te Falk dann nun tau­send Spaß. Er hol­te aus sei­nem Hut einen klei­nen zusam­men­ge­leg­ten drei­bei­ni­gen Stuhl her­vor, ließ sich häus­lich nie­der, schloß sein Büro auf, teil­te sei­ne Zei­tung aus, schrieb tol­le Ein­fäl­le, die er an die Umste­hen­den aus­teil­te, kurz nie­mand spiel­te sei­ne Rol­le den gan­zen Abend durch wie er. Auch wuß­te Goe­the nicht, wie er ihn genug prei­sen sollte.


Bericht von Rosalie Falk (1868) über das Engagement ihres Vaters nach der Besetzung Weimars durch die Franzosen (1806)

Mein Vater setz­te hier­auf ein Rund­schrei­ben an die Bewoh­ner Weimar’s auf und schick­te es in die Häu­ser, und trotz­dem, daß die Stadt geplün­dert war, trotz­dem daß zwei Armeen in der­sel­ben fou­ra­giert hat­ten, gelang es ihm, eine nicht unbe­deu­ten­de Kol­lek­te von den ver­lang­ten Gegen­stän­den zusam­men zu brin­gen, wozu Goe­the, Madame Scho­pen­hau­er und ande­re Per­so­nen, die nicht durch die Plün­de­rung gelit­ten hat­ten, das meis­te beitrugen.

Johannes Daniel an Caroline Falk, Weimar, den 6. Juni 1822

Lus­tig ist anzu­se­hen, wie die Jun­gen jetzt aus dem Dreck der ver­fal­le­nen alten Rit­ter­burg, Back­stei­ne machen und sie kreuz­weis im Hofe trock­nen. Es ist eine ordent­li­che Zie­gel­fa­brik und ich spa­re viel Geld dabey. – Ich hät­te den Lehm und Schutt weg­zu­fah­ren wenigs­tens 100 bis 150 Tha­ler geben müs­sen – Jetzt spa­re ich das [!] Fuhr­lohn und gewin­ne noch den Backstein.

Johannes Daniel an Caroline Falk, Weimar, den 30. September 1822

Madame Treu­tel [!] schrieb mir kurz dar­auf :  im ers­ten Stück des Jour­nals :  Socie­té de la Mora­le Chre­ti­en­ne soll von die­sem Unter­neh­men zur Ehre Got­tes die Rede seyn. {…} Dieß Jour­nal ist nun erschie­nen und erlebt fol­gen­de Resul­ta­te :  der Graf Alex­an­der de Labor­de for­der­te für unsern Zweck die Fran­zö­si­sche Regie­rung auf, wies nach, daß 600 Fran­zö­si­sche Kin­der in den Straf­ge­fäng­nis­sen schmach­te­ten und zwar gera­de in der schöns­ten Lebens­zeit, wo sie noch Hand­wer­ke zu ler­nen im Stan­de wären usw. Auf die­se bered­te Vor­stel­lung beschloß die Regie­rung 200,000 Francs zu die­sem from­men Zweck und zugleich ein gro­ßes Schloß dem Unter­neh­men zu geben. {…}

So wird die­ser Samen, der mit Blut und Thrä­nen zwi­schen Pest und Seu­chen auf den Schlacht­fel­dern von Jena, Lüt­zen und Leip­zig gestreut wur­de, sich bald über ganz Euro­pa verbreite[n].


Johannes Daniel an Caroline Falk, Konradsreuth, den 10. September 1813

Ich bete zu Gott, lie­be theu­ers­te See­le, daß dich die­ser Brief mit allen Uns­ri­gen gesund antref­fen [möge].Du kannst nicht glau­ben theu­ers­te Freun­din, was ich wegen der ver­fluch­ten [?] Krank­hei­ten, die in Wei­mar herr­schen, für eine Angst, Ban­nig­keit [?] und Sehn­sucht zurück habe. Denn mir ist es völ­lig bis zum Wahn­sinn unleid­lich, wenn euch ihr theu­ers­ten Klein­ode mei­ner Lie­be, ein Leid trä­fe und ich wäre nicht unter euch, um es mit euch zu thei­len und mich euch zu tra­gen. Deß­halb wer­de ich auch auf den Flü­geln der Lie­be wie­der zu euch eilen, sobald mei­ne Geschäff­te hier nur eini­ger­ma­ßen been­digt sind, Adjeu mein theue­res, sanf­tes Taubenherz.


EPILOG
Johannes Daniel an Caroline Falk, Weimar, den 16. Januar 1822

Sor­ge nicht, lie­be See­le, eben mein Kreuz, mei­ne Noth, mei­ne Anfech­tung, mein guter und rau­her Kampf von Kin­des­bei­nen an, mit der Gegen­wart, soll dir ein Bür­ge dafür seyn, daß Gott mich wird mit Ehren enden las­sen und daß der Name Johan­nes Falk noch lan­ge wie ein freund­lich trös­ten­des Gestirn in Deutsch­land strah­len wird, wenn Alle, die mich jetzt anbel­len und anbel­fern wer­den ver­ges­sen seyn !

1991 wur­de in einem Obser­va­to­ri­um bei Jena ein neu­er Aste­ro­id ent­deckt, des­sen Bezeich­nung „48480Falk“ 2003 offi­zi­ell aner­kannt wur­de.

DW


Inter­view mit Dr. Johan­nes Demandt : Prio­ri­tät der Nächstenliebe